Beziehungsstatus: Es ist kompliziert - Das Verhältnis von Türkei und NATO am Beispiel des Erdgasstreits im Mittelmeer

Im vergangenen Sommer erhöhten sich erneut die Spannungen im östlichen Mittelmeer, zwischen der Türkei und anderen Anrainer- und NATO-Mitgliedsstaaten, darunter Griechenland und Frankreich.

Vor diesem Hintergrund haben wir am 22.04.2021 unser erstes englischsprachiges Web-Seminar unter dem Titel „Beziehungsstatus: Es ist kompliziert - Das Verhältnis von Türkei und NATO am Beispiel des Erdgasstreits im Mittelmeer“ veranstaltet.

Die eingeladenen Experten Dr. Günther Seufert, Leiter des Zentrums für angewandte Türkeistudien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Dr. Zenonas Tziarras vom PRIO Cyprus Center (PCC) ergänzten sich in diesem Format hervorragend und ermöglichten ein spannendes lehrreiches Online-Seminar. Dr. Tziarras brachte dabei insbesondere seine Außen- und geopolitische Expertise als Forscher vor Ort in der Region ein, während Dr. Seufert die Veranstaltung mit einen Blick auf die Türkei und deren Dynamiken an sich und deren bedeutung für die Entwicklung der Verhältnisse mit anderen regionalen Akteuren warf.

Das Online Seminar war mit knapp über 20 Teilnehmer:innen gut besucht und es mangelte nicht an spannenden Fragen durch die Teilnehmer:innen. Ein paar der wichtigsten Punkte im Folgenden einmal grob und ohne Anspruch auf Vollständigkeit zusammen gefasst:

 

Dr. Tziarras stellte in seiner Vortragserföffnung drei Hauptfaktoren vor, die zum Aufstreben der Türkei und der Lage, in der sie sich befindet, beigetragen haben.

Als ersten Faktor nennt er die Machtransition von einem unipolaren System hin zu einem multipolaren System. Den zweiten Faktor sieht er in der Suche der Türkei nach ihrer Identität, während des Kalten Krieges und danach. Zunächst von einem demokratischen Weg, begleitet  von wirtschaftlichem Aufschwung hin in eine mehr revisionistische Richtung, nachdem die AKP ihre Macht stabilisiert hat.

Als dritten und letzten Faktor führt er an, wie die innertürkischen Entwicklungen von umliegenden regionalen Akteuren wahrgenommen wurde und der damit einhergehende Versuch das türkische Machtstreben in Balance zu halten. 

Dr. Tziarras wies darauf hin, dass jeder der Staaten versucht dabei seine eigenen Interessen zu verfolgen. So formierten sich Griechenland und Zypern gegen die Türkei, mit dem Ziel eine  Verteidigung gegen ihr Regionalmachtstreben aufzubauen. Andere Staaten, beispielsweise Ägypten hatten das Ziel neue Handels- und Wirtschaftspartner zu finden und warum insofern motiviert die einhegung der Türkei fortzuführen.

Statt eines Ressourcenkonfliktes sieht Dr. Tziarras den Grund für sich entwickelnden Spannugen eher im griechisch-türkischen Konflikt. Das Erdgas führe jedoch zu einem Anheizen des Konfliktes.

Eine Konfrontation mit der NATO schloss er aus. Aus seiner Sicht ist eine integrative regionale Organisation nötig, um den Konflikt zu entspannen.

 

Dr. Seufert befasste sich in seinem Input vor allem mit der Ideologie des Neoosmanismus, der die türkische Führung stark anhängt.

Er stellte dabei folgendes hervor:

Der Neoosmanismus beschreibt eine romantische Vorstellung des Osmanischen Reiches in der historischen Betrachtung. Dr. Seufert weist jedoch darauf hin, dass dies nicht in einem nationalistisch-ethnozentrischen Sinne verstanden werden darf. Der Osmanische Staat ist explizit für alle Muslime dar.

Daneben versteht sich Osmanismus beziehungsweise Neoosmanismus als kritisch gegenüber der Moderne und dem modernen Nationalstaat. Diese Vorstellung werde auch in der AKP verfolgt, die überzeugt ist, dass um Frieden und Stabilität zu erreichen, der Nationalstaat überwunden werden müsse. Dies spiegele sich auch in der Öffnung zu einer panarabischen Bewegung hin.

 

In der Frage-Antwort Runde, welche über die Hälfte der Veranstaltung einnahm, übertrafen sich die Teilnehmer:innen mit hochspannenden Fragen, wodurch wir angeregt und mit vielen neuen Perspektiven und einer Portion Wissbegierde aus der Veranstaltung herausgehen. Insgesammt war das Seminar ein voller Erfolg, was auch die durchweg positive Resonanz wiederspiegelte. Da uns im Nachhinein auch Fragen bezüglich einer Veranstaltungsaufzeichnung erreichten, müssen wir leider mitteilen, dass eine solche nicht existiert. Darüber hinaus war dies unsere erste englischsprachige Veranstaltung. Die Sprache war dabei inhaltlich kein Hindernis, und wir werden auch in Zukunft englischsprachige Seminare Veranstalten.

 

Abschließend bedanken wir uns ganz herzlich bei Herrn Seufert und Herrn Ziarras und würden uns freuen, wenn dies nicht unser letzter Kontakt zu den beiden Experten war.